„Strukturiertes Vorgehen bei der Prozessaufnahme“ ist einer der meist genannten Wünsche, wenn ich Erwartungen in meinen Seminaren abfrage. Vom Groben ins Feine (da ist es schon wieder) oder Neudeutsch Top-Down kann die Antwort lauten. Was aber verbirgt sich dahinter? Ohne weitere Erklärungen bringt uns die Antwort kaum weiter. Im zweiten Teil meiner Reihe zur BPMN möchte ich mein Ebenenmodell vorstellen und zeigen, wie ich die BPMN in eine solche Top-Down Methode einbette.

Was ist überhaupt mit Ebenenkonzept gemeint? In der Praxis hat es sich als nicht sinnvoll erwiesen, für einen Prozess ein einziges Modell auf Ebene der einzelnen Aktivitäten zu erstellen. Die Gründe hierfür sind vielfältig. Sie erstellen Prozesstapeten, auf denen völlig die Übersicht verloren geht, Zusammenhänge nicht mehr sichtbar sind, Sie selbst verzetteln sich bei der Prozessaufnahme und schließlich landet das Modell in der Schublade, weil es den erhofften Nutzen nicht stiftet. Der enorme Zeitaufwand kommt noch hinzu. Die Lösung ist eine Zerlegung der Prozesse vom Groben ins Feine und zwar nur soweit, wie es für den Modellierungszweck nötig ist.

Was sagen die anderen?

Prozesse iterativ vom Groben ins Feine aufzunehmen, ist in der Literatur unumstritten. Es lassen sich aber eine ganze Reihe von Ansätzen finden, die sich hauptsächlich in der Anzahl der Ebenen unterscheiden. Eine Übersicht hat Prof. Dr. Guido Fischermanns zusammengetragen:

Autoren Ebenenbezeichnungen
Bokranz/Kasten Unternehmensprozesse, Geschäftsprozesse, Teilprozesse, Arbeitsabläufe, Teilarbeitsabläufe, Unterarbeitsabläufe, Tätigkeiten
Gadatsch Geschäftsprozess, Geschäftsprozessschritte, Elementare Geschäftsprozessschritte
Gaitanides/Scholz/ Vrohlings/Raster Unternehmensprozess, Teilprozess, Ebene II, Teilprozess Ebene III, Arbeitsschritt, Aktivität
Schmelzer/Sesselmann Geschäftsprozess, Teilprozess, Prozessschritt, Arbeitsschritt
Nadig Prozess, Aktivität, Tätigkeit
Vahs Geschäftsprozess, Teilprozess 1. Ebene, Teilprozess 2. Ebene, Elementarprozess mit Aktivitäten

Tabelle 1 vgl. Fischermanns, Guido: Prasxishandbuch Prozessmanagement, Gießen, 11.Auflage, 2013

Etwas anderes empfehlen Freund und Jakob in Ihrem Werk „Praxishandbuch BPMN„. Zwar empfehlen sie ebenfalls ein Top-Down Vorgehen, unterscheiden aber nur strategische und operative Prozessmodelle und gliedern die operativen Modelle in so viele Unterprozesse, wie es in dem Projekt eben notwendig ist, ohne sich einem streng gegliederten Ebenenmodell zu unterwerfen. Die BPMN selbst gibt kein Ebenenkonzept vor, sie eröffnet aber die Möglichkeit, diese nach den eigenen Wünschen zu realisieren.

Ich selbst folge im Grunde dem Ansatz der KGSt, da er sich in der Praxis bewährt hat. Dieser unterscheidet Prozess, Prozesslandkarte, Teilprozesse und Aktivitäten. Die Ebene der Aktivitäten ergänze ich allerdings um den Ansatz von Freund und Jakob. Dies resultiert aus den Spezifika der BPMN und bietet die Möglichkeit ein einziges Prozessmodell für verschiedene Anwendungsszenarien zu erstellen, ohne die oben genannten Prozesstapeten zu erstellen. Nun, wie sieht das Konzept genau aus und wo kommt die BPMN ins Spiel?

Prozess

Am Anfang aller Untersuchungen steht immer die Prozessidentifikation. Dies ist keinesfalls ein trivialer Vorgang. Als Beispiel möchte ich einen einfachen Antragsprozess, den BAföG-Antrag betrachten. Beginnt der Prozess mit dem Eingang des Antrages oder gehört die in vielen Fällen vorher stattfindende Beratung mit dazu? In der Literatur existieren verschiedene Definitionen für einen Prozess. Unstrittig ist aber, dass im Prozessmanagement die Kundenperspektive zählt und Prozesse End-to-End betrachtet werden. Soll heißen, Prozesse werden vom Auslöser, in der Wirtschaft in der Regel der Wunsch des Kunden, bis zur Erfüllung seines Wunsches betrachtet. Für den BAföG-Prozess heißt das, die Beratung ist einzubeziehen.

Auch das Ende des Prozesses muss genauer betrachtet werden. Endet der Prozess mit dem Bescheid oder gehören laufende Zahlung, regelmäßige Überwachung des Einkommens der Eltern usw. dazu? Betrachten wir End-to-End, so Endet der Prozess erst, wenn die letzte Zahlung geleistet ist und der Vorgang archiviert wurde. Wichtig sind also die Definition des Auslösers und des Ergebnisses des Prozesses. Definieren Sie diese möglichst genau und beschreiben Sie diese als einen eingetretenen Zustand („Kunde möchte BAföG-Antrag stellen“). Der Prozess selbst wird mit einem Substantiv und Verb benannt, also z. B. „BAföG-Antrag bearbeiten.“

Eine grafische Darstellung hat sich auf dieser Ebene in der Praxis nicht bewährt. Sie bringt keinen Erkenntnisgewinn, vielmehr sollte ein Prozessstammblatt angelegt werden.

Prozesslandkarte

Rufen Sie sich das Motto „vom Groben ins Feine“ ins Gedächtnis, so wäre es denkbar, dass die Prozesslandkarte doch über dem Prozess stehen müsste. Jedoch können Sie keine Prozesslandkarte erstellen, ohne vorher die Prozesse identifiziert zu haben. Im Gegensatz zur freien Wirtschaft halte ich es in der öffentlichen Verwaltung nicht für sinnvoll, eine unternehmens- bzw. verwaltungsweite Prozesslandkarte zu erstellen. Ich empfehle Ihnen auf der Produktebene, eine Prozesslandkarte zu erstellen oder, wenn Sie projektbezogen einen Prozess betrachten, eine auf diesen Prozess bezogene Prozesslandkarte zu erstellen. Die BPMN sieht für die Erstellung einer Prozesslandkarte keine Symbole vor. Im Wissen und Werkzeug Prinzip werden Prozesslandkarten deshalb nicht mit Hilfe der BPMN erstellt. Wie genau Prozesslandkarten erstellt werden, stelle ich in einem gesonderten Artikel vor.

Teilprozesse

Ab dieser Ebene arbeiten wir mit der BPMN und erstellen mit der Spezifikation vollkommen im Einklang stehende Prozessmodelle. Eine feste Regel wie Teilprozesse abgegrenzt werden, gibt es nicht. Bei mir haben sich in der Praxis allerdings zwei Merkmale zur Abgrenzung bewährt. Zum einen endet bei mir ein Teilprozess immer dann, wenn der Prozess die Grenze einer Organisationseinheit überschreitet. In der Regel liegt an dieser Stelle ein definierbares Zwischenergebnis vor. Außerdem handelt es sich um eine Schnittstelle. Diese sollten bei Prozessprojekten grundsätzlich betrachtet werden. Zum anderen definiere ich in der Regel einen neuen Teilprozess, wenn der Prozess eine (planmäßige) längere zeitliche Unterbrechung aufweist. Hier können als Beispiele der Versand einer Anhörung und die Anforderung von Stellungnahmen genannt werden. Dies sind natürlich keine abschließenden Regeln, es kann im Prozess andere Ereignisse geben, die es rechtfertigen, einen neuen Teilprozess zu definieren.

Der bei der Prozessidentifikation definierte Auslöser des Prozesses, muss immer auch der Auslöser des ersten Teilprozesses sein. Falls Sie feststellen, dass die beiden nicht übereinstimmen, so müssen Sie eine der Ebenen anpassen. In der Praxis ist es nicht selten der Fall, dass sich Auslöser und Ergebnis bei genauerer Betrachtung nochmal verändern. Wichtig ist aber, dass beide am Ende auf allen Ebenen übereinstimmen. Folglich muss das Ergebnis des letzten Teilprozesses auch das Ergebnis des Gesamtprozesses sein.

Zwischen den Teilprozessen werden nach dem Wissen und Werkzeug Prinzip Ereignisse definiert. Diese müssen Sie sich als Zwischenergebnisse vorstellen. Stellen Sie sich die Frage, welcher Zustand eingetreten ist, wenn der Teilprozess beendet ist, bzw. welcher Zustand vorliegen muss, damit der nächste Teilprozess starten kann. Legen Sie bei der Definition des Zwischenergebnisses eine hohe Genauigkeit an den Tag. Schmelzer und Sesselmann sehen Schnittstellen innerhalb eines Prozesses als Quelle organisatorischer Unverantwortlichkeit. Grenzen Sie die Teilprozesse exakt ab, so haben sie bereits exakt den Punkt beschrieben, an dem die Verantwortung von der einen auf die andere Organisationseinheit übergeht. Allein dadurch können schon enorme Prozessverbesserungen realisiert werden. Wenn Sie nun im zweiten Schritt noch Qualität und Güte des Zwischenergebnisses definieren, haben Sie bereits einen massiven Mehrwert geschaffen. Nehmen Sie sich einige Minuten, denken Sie an Ihre eigene Zusammenarbeit mit anderen Organisationseinheiten und lesen Sie den letzten Absatz noch einmal.

Das Teilprozessmodell zähle ich zu den strategischen Prozessmodellen. Es dient dazu, einen Überblick über den Prozess, seine Beteiligten und Abhängigkeiten sowie Austausch zwischen diesen zu geben. Zielgruppe sind in der Regel Führungskräfte. Wobei ich die Ebene der Teilprozesse auch häufig für Personalbedarfsermittlungen nutze. Halten Sie das Modell also schlank. Es sollte idealerweise auf eine oder zwei DIN A4 Seiten passen. Details werden hier ausdrücklich ausgeblendet! Sollten in einem Teilprozess Prüfungen wie die Vollständigkeit, Zuständigkeit oder das Vorliegen formaler Voraussetzungen stattfinden, so werden die Prozessergebnisse, sollte eine der Prüfungen negativ ausfallen, nicht modelliert. Nicht, dass es zu Missverständnissen kommt: Die genannten Prüfungen sind keine Teilprozesse, vielmehr sind diese häufig Inhalt eines einzigen Teilprozesses.

Wie so ein Prozessmodell aussehen kann, zeige ich am Beispiel einer meiner eigenen Prozesse: Seminar durchführen. Welche Symbole, wie eingesetzt werden, erläutere ich, wenn ich im nächsten Artikel die Symbolpalette des Basis-Levels vorstelle.

Aktivitäten

Sind die Teilprozesse definiert, können diese nun auf Aktivitätenebene weiter zerlegt werden. In diesem Schritt wechseln wir von den strategischen Prozessmodellen zum operativen Prozessmodell. Als größte Schwierigkeit wird hier häufig die richtige Detailtiefe des Modells empfunden. Eine allgemeingültige Regel kann nicht aufgestellt werden. Der Modellierungszweck bestimmt sowohl, wie detailliert der Prozess auf Aktivitätenebene beschrieben werden muss, als auch, welche Teile des Prozesses detaillierter betrachtet werden. Ein Prozessmodell, welches zur Entwicklung eines Workflows erstellt wird, weist eine andere Tiefe auf und legt den Fokus auf andere Informationen, als ein Modell, welches zum Risikomanagement erstellt wird. Um den „richtigen“ Detailgrad zu treffen, sollten Sie sich vor Beginn der Prozessaufnahme zwei Fragen stellen.

Wozu soll das Prozessmodell dienen?

Welche Informationen muss das Modell dazu enthalten?

Wenn Sie nur solche Teile des Prozesses detailliert beschreiben, die für Ihren Modellierungszweck einen informatorischen Mehrwert haben, verhindern Sie, das Modell mit Informationen aufzublähen, die Sie eigentlich nicht brauchen. Dadurch sparen Sie nicht nur Zeit, Sie verstellen auch nicht den Blick auf das Wesentliche durch unnötige Informationen.

Als weiteres Hilfsmittel, den Prozess übersichtlich zu gestalten, dienen die sogenannten Unterprozesse. Diese sind nicht mit den Teilprozessen zu verwechseln. Mit Unterprozessen lassen sich Aktivitäten kapseln und zwar in eine solche Tiefe, wie es für den Modellierungszweck eben notwendig ist. Zur Arbeit mit Unterprozessen werde ich noch einen eigenen Artikel schreiben und erläutern, welche Regeln bei der Arbeit mit Unterprozessen zu beachten sind.

Das Ebenenmodell in der Übersicht

Und in der Praxis?

In der freien Wildbahn sind Projekte leider nicht immer so durchzuführen, wie es die Lehrbücher vorschlagen. Das hier beschriebene Vorgehen ist aber eines der wenigen, das ich in jedem Prozessprojekt anwende. Argumente wie Zeitdruck lasse ich hier nicht gelten, da sich die investierte Zeit in jedem Fall auszahlt. Steigen Sie gleich auf der Ebene der Aktivitäten ein, so holt Sie die mangelnde Übersicht im Laufe des Projektes ein und verursacht zusätzliche Arbeit. Zumal die Identifikation des Prozesses, die Erstellung einer Prozesslandkarte und die Definition der Teilprozesse, mit ein wenig Übung, nicht besonders viel Zeit erfordern. Ich kenne kaum ein Vorgehen, welches ein besseres Aufwand-Nutzen-Verhältnis aufweist als dieses. Dies gilt insbesondere, wenn Sie, wie oben schon beschrieben, den Prozess nur soweit zerlegen, wie es für ihren Modellierungszweck notwendig ist. Bei Personalbedarfsermittlungen beispielsweise reicht es häufig aus, den Prozess nur bis zu den Teilprozessen zu zerlegen und auf dieser Ebene die Bearbeitungszeiten zu ermitteln.

Damit sind die theoretischen Grundlagen gelegt. Im Nächsten Teil werde ich die BPMN-Symbole des Basis-Levels vorstellen.